Iquique



TRANSKRIPT
24 August 1928   ¶   Bremen – Abfahrt




Vor der Abfahrt von Bremen am 24 ten Aug. 1928 auf Dampfer Wiegand   ¶  
Ankunft in Iquique am 13. Okt 1928.



[ erlebt: 9-jährig / 1929 ]
[ Medium: Negativ-Foto-Abzug ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Schrank / Fotoalbum ]

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Mein Vater war in den 20er Jahren als Maschinenmeister bei der Baufirma »Philipp Holzmann« in Frankfurt beschäftigt, die neben vielen deutschen auch internationale Aufträge bekam. 1929 erhielt die Firma einen großen Auftrag aus Chile: Eine kleine Insel bei Iquique im Norden Chiles sollte mit dem Festland verbunden werden.
       Da das qualifizierte Fachpersonal aus Deutschland kommen sollte, musste auch mein Vater mit seiner Familie kurzfristig nach Chile auswandern. So gingen mein Vater und meine schwangere Mutter am 24. August 1929 mit meinem Bruder und mir an Bord eines Frachtdampfers, der uns von Bremen bzw. Bremer­haven nach Iquique bringen sollte. Mit uns gingen noch ein paar andere Passagiere an Bord. Wahrscheinlich waren wir zu den üblichen Frachttransporten eine zusätzliche Einnahmequelle.
       Die Überfahrt dauerte sieben Wochen, in denen wir zu viert in einer Kajüte lebten. Essen durften wie sogar zusammen mit dem Kapitän. Oft war es sehr stürmisch. Zum Glück wurden wir nicht seekrank. Nur meiner Mutter bekam die stürmische See nicht gut. Auf dem Weg nach Iquique liefen wir viele Häfen an, so z.B. Southampton, Panama, Guayaquil, Lima und Arica. All diese Häfen wurden angesteuert, um Frachten aus- oder einzuladen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Panama-Kanal mit seinen gewaltigen Schleusen, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Den Panama-Kanal zu passieren dauerte etwa sechs Stunden.
       Nach sieben Wochen endlich angekommen, bezogen die Arbeiter und ihre Familien Holzhäuser auf der kleinen Insel vor Iquique. Ich kann mich noch gut an die Taucher in ihren großen, schweren Tauchanzügen erinnern, die ich auf den Booten sah und die tief unten im Meer das Fundament für den Übergang legen mussten.
       Aus der kleinen Insel eine Halbinsel zu machen, dauerte zehn lange Jahre. Da es in Iquique keine deutschen Schulen gab, besuchte ich ein chilenisches »Liceo de niñas« (Mädchen-Lyzeum), das zwölf Jahrgangsstufen hatte. Als der Übergang zur Insel fertig gebaut war, wurde mein Vater noch mit einer anderen Aufgabe im Süden Chiles betraut. Im Februar 1939 machte ich in »Valparaiso« mein Abitur und im Mai zogen wir zurück nach Deutschland, wo mein Vater in Schleswig Holstein einen neuen Auftrag hatte. Die Rückfahrt mit einem Passagierdampfer dauerte diesmal nur 24 Tage.
       Die Umstellung war anfangs sehr schwer für mich. Vor allem die Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die ich von den Chilenen gewohnt war, fehlten mir. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich in Deutschland wohlfühlen konnte. Außerdem fiel mir der Neubeginn in Deutschland schwer, da ich zehn Jahre lang keinen richtigen Deutschunterricht mehr bekommen hatte. Immerhin hatten meine Eltern durchgesetzt, dass wir Kinder zu Hause deutsch sprechen mussten. Wenn wir beim Spanisch-Sprechen erwischt worden waren, bekamen wir eine Strafaufgabe. Dann mussten wir 100 Mal notieren: »Ich darf zu Hause nicht Spanisch sprechen.« Das war auch richtig von den Eltern, damit wir unsere deutschen Wurzeln nicht vergaßen.


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