Arbeitsdienst in Groß-Solt




[ erlebt: 20-jährig / 1940 ]
[ Medium: Negativ-Foto-Abzug ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Schrank / Fotoalbum ]

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Von April bis Oktober 1940 absolvierte ich meinen Arbeitsdienst in Groß-Solt, bei Flensburg. Der Arbeitsdienst galt sowohl für Mädchen als auch für Jungen und ist mit dem heutigen Zivildienst bzw. Wehrdienst vergleichbar. Die Arbeitsdienste fanden in verschiedenen Bereichen statt: Einige in Fabriken, im Straßenbahnverkehr oder wie bei mir in der Landwirtschaft. Man konnte sich die Tätigkeit nicht aussuchen, sondern wurde direkt nach der Schule ohne Wahlmöglichkeit eingezogen. Die meisten »Arbeitsmaiden«, mit denen ich den Arbeitsdienst absolvierte, waren Abiturientinnen aus Hamburg. Der Zusammenhalt unserer Gruppe war recht gut. Mit einer von ihnen, Julia, war ich noch über mehrere Jahre befreundet und habe sie mehrmals in Hamburg besucht.
       Der damalige Arbeitsalltag gestaltete sich immer gleich: Um sechs Uhr wurden wir geweckt, dann stand direkt Frühsport auf dem Plan. Danach mussten wir zum Waschen in die Waschbaracke. Wir mussten die Aluminiumschüsseln so sauber hinterlassen, dass sie blinkten. Einmal pro Woche gab es den Appell und es wurde überprüft, wie ordentlich wir unsere Wäsche gestapelt hatten. Täglich wurden unsere Betten kontrolliert, und wenn diese nicht absolut glatt gestrichen und ordentlich waren, wurde alles herausgerissen und wir mussten es erneut versuchen. Julia erging es meist so, da sie beim Bettmachen etwas ungeschickt war und es einfach nicht hinbekam. So griff ich ihr oft unter die Arme.
       Nach dem morgendlichen Waschgang folgte das Frühstück. Anschließend wurde die Fahne gehisst und wir sangen Lieder. Es wurde noch ein Spruch von einem der Mädchen aufgesagt, jeden Tag musste eine andere nach vorne treten und etwas vortragen. Im Anschluss bekamen wir noch Unterricht, hauptsächlich politischer Art. Dann ging jede von uns ihrem zugeteilten Dienst nach. Es gab den Küchendienst und den Waschdienst. Die meisten der Mädchen mussten allerdings zum Bauern und dort ihren Dienst ableisten, indem sie bei der Landarbeit mithalfen. Alle vier Wochen wurden die Dienste bzw. die Bauern getauscht. Ich denke gerne an diese Zeit zurück und fand die Arbeiten, an die wir herangeführt wurden interessant und nützlich. Ich lernte z.B. von einer der Bäuerinnen, wie ich ein Huhn auszunehmen habe, indem sie es beim ersten Huhn vormachte und ich es bei zweiten nachmachen musste. Überhaupt lernte ich nicht nur die Hausarbeit, sondern auch die Landwirtschaft zu schätzen. Ich musste z.B. auch Kühe melken, den Schweinestall streichen, Kartoffeln und Rüben hacken und sammeln und bei der Heu- und Getreideernte helfen. Etwas unangenehm war der Dienst allerdings bei sehr primitiven Bauern, da es dort nicht einmal eine Toilette gab. Die Notdurft musste dann in einer Ecke des Kuhstalls verrichtet werden.
       Ab und zu gab es Treffen mit Arbeitsdienstmännern aus dem benachbarten Lager. Wir verlebten zusammen gemütliche Abende mit Volkstänzen zu Schallplattenmusik. Diese Treffen waren zur gemeinsamen Freizeitgestaltung, Anbändeleien gab es eigentlich nicht. Dafür sah man sich auch zu selten. Außerdem wurde uns angeboten, Soldaten an der Front Briefe zu schreiben. Wir bekamen Adressen und sollten uns jemanden aussuchen. Wir haben meist von unseren Alltagserlebnissen berichtet und die Männer antworteten, was sie an der Front erlebt hatten. Der Briefwechsel war meist nicht besonders rege, da ein Brief damals 20 Pfennig kostete. Das war für uns ein Tageslohn. Kennen gelernt haben wir uns nie. Der Briefkontakt zu den Soldaten war als Motivation gedacht, damit die Soldaten an der Front wussten, in der Heimat denkt jemand an sie. Die Briefe waren also eine Verbindung in die Heimat, auch wenn sie von einer Fremden kamen.
       Nach Hause durften wie alle drei Wochen an den Wochenenden. Allerdings war die Heimweise immer mit sehr viel Aufwand verbunden, da der Weg vom Arbeitslager bis zum nächsten Bahnhof zu Fuß sehr weit war. Einmal unternahmen wir auch eine gemeinsame Fahrt nach Greetsiel an der Nordsee, wo wir eine Woche lang Urlaub machten.
       Abends gab es nach getaner Arbeit Abendbrot und dann flickten wir unsere Kleidung oder lasen etwas. Um neun Uhr ging bereits das Licht aus, doch wir behalfen uns meist mit Kerzen. Geschlafen haben wir in Sechserzimmern, in denen drei Stockwerkbetten standen. Matratzen hatten wir keine, wir schliefen nur auf Strohsäcken. Dennoch fand ich das Schlafengehen herrlich, da ich nach getaner Arbeit gut einschlafen konnte. Tatsächlich habe nie wieder so gut geschlafen wie damals.


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