Scherri-Brandie





TRANSKRIPT
Brief No No 1.   ¶   Philadelphia 8.4.28   ¶   Werter Freund Theodor   ¶   Heute komme Ich endlich dazu Dir einige
Zeilen zu schreiben. Zuerst die besten Grüsse aus Philadelphia U.S.A. Du wirst wohl staunen wenn Du den
Brief bekommst. Wie Du siehst bin ich jetzt in Amerika, das hättest Du Dir wohl nicht gedacht, das ich
Deutschland verlassen werde. Ich bin nämlich am 7. Februar 1928 von Bremen gefahren. Die Seefahrt war
wunderschön und sehr schtürmisch. Die Wellen gingen nicht Haus- sondern Kirchturm hoch wohl manchmal über
unser Schiff hinwech. Mitt Dampfer „München“ bin ich über England, Frankreich und Canna nach New York
gefaren. Denn mit der Bahn weiter nach Philadelphia. Hir hab ich Onkel Tante und Vettern.




bei denen Ich gut verwahrt bin   ¶   Philadelphia ist eine sehr grosse Stadt. Tausende von Auto sieht man jeden Tag.
Mein Onkel hat auch ein schönes Auto damit fahren wir jeden Tag spatzieren. Ja es ist schön hier, blos das Bier
und der Schnaps die fehlen. Theodor Du kannst mir ein gefallen thun. Schickst mir das rezept von Scherri-Brandie
(oder das das Buch) wo alle Liköre drinn enthalten sind und noch eins denn noch denn Scherri-Brandie Essens.
Denn der ist die Hauptsache. Also Du thust mir den Gefallen. Ich mach dir alles gut. Du brauchst keine Angst zu
haben. Es kommt schon rüber. Nur es mus gut verpakt sein. Also das Buch oder das Rezept von Scherri-Brandie.
Bitte beandworte mir denn Brief. Du wirst denn Brief in 12–14 Tagen haben. Wenn du sofort




( 2.) Antwortest hab ich Dein Brief in 3. Wochen. Also schreibe sofort. Was gibt est neu es neues in Wiedenbrück   ¶  
bis Du noch bei Fröhlich. Ich es glaube es doch noch. An Keimanns habe ich einen Brief geschrieben frach mal ob
sie den erhallten haben. Nächstes alles näher. Also thust mir den Gefallen.   ¶   Viele Grüsse an alle Bekannte   ¶  
Es grüst Dir Deine Frau u. Deine Eltern Dein Freund Franz   ¶   bitte wenden




Adresse   ¶   Mister F   ¶   Adresse   ¶   Franz S.   ¶   414 W. Courtland. Ave   ¶   Philadelphia. Pa.   ¶   U.S.A. U.S.A.   ¶  
sei noch mal gegrüst von Franz



[ erlebt: 12-jährig / ~1940 ]
[ Medium: Brief ] [ Archivierung: Arbeitszimmer / Regal / Schatulle ]

w80
Dieser Brief ist ein Andenken an meinen verstorbenen Vater und ein Zeitdokument. Mein Vater erhielt ihn von seinem Freund Franz, der damals nach Amerika ausgewandert ist. Dort gab es kein Bier und keinen Schnaps. Da mein Vater in einer Brennerei gearbeitet hatte, bat Franz ihn um ein Rezept für »Scherri-Brandie« und um die nötige Brandie-Essenz.
       Immer wieder hat mein Vater uns Kindern all die Dönekes erzählt, die er vorher mit seinem Freund Franz erlebt hatte. Eine Geschichte, an die ich mich noch sehr gut erinnern kann, geschah in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als die beiden zu Karneval einmal zum Tanzen ins Hotel Fröhlich gingen. Dort gab es neben der Brennerei auch einen großen Saal. In der Tanzpause dann beobachteten sie vier Damen, die zum Luftschnappen vor die Tür gingen. Franz und Theodor (mein Vater) gesellten sich dazu. Am Straßenrand stand eine Kutsche ohne Pferde. In ihrer Weinlaune öffneten die beiden die Türen und baten die Damen einzusteigen. Als diese Platz genommen hatten, nahmen die Männer die Deichsel und zogen unverhofft mit ihrem Anhang los. Im wilden Galopp jagten sie die Kutsche durch die Stadt. In jeder Kurve gab es lauten Protest und viel Gekreische der Damen, was die beiden natürlich noch besonders anspornte.


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