Selbstportrait




[ erlebt: 14-jährig / 1945 ]
[ Medium: Zeichnung ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Wand / Rahmen ]

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Meine Frisur hatte sich seit Jahren nicht verändert. Täglich wickelte ich das feine Haar zur modischen Innenrolle. Kurz vor Ostern 1945, im letzten Kriegsjahr, wurde ich in einer erzgebirgischen Kleinstadt konfirmiert, und dieser Tatsache entsprang der sehnliche Wunsch nach einer neuen Haarpracht.
       Erwachsener wollte ich als dünnes Mädchen wirken und mir eine Dauerwelle zulegen. Meine Mutter zeigte Verständnis und gab mir ihre Absatzschuhe und ein Handtuch, das zu jener Zeit noch mitgebracht werden musste, mit auf den Weg. So schritt ich erwartungsvoll die Bergstraße entlang zum Friseurladen. Die Frage der Friseurin: »Bist du denn schon 16?« überraschte mich. So sah ich nun wirklich nicht aus. Die Mangelernährung hatte ihre Spuren hinterlassen. Man lebte ja von Kohlrübenschnitzeln und Brennnesseln, jedenfalls äußerst karg. »Bist du denn schon 16?« musste ja kommen, logisch. »Nein«, war meine kleinlaute Antwort. Als Vierzehnjährige hatte ich keine Chance, die begehrte Dauerwelle zu erhalten. Das Gesetz war dagegen. Später meinten die Älteren: »Du hast mit deiner Innenrollenfrisur am besten ausgesehen.«
       Das kleine Selbstportrait entstand 1947, über zwei Jahre nach dieser Begebenheit, in Berlin. Ich hatte mich vor einen dreiteiligen Frisierspiegel gesetzt und mein Profil mit dem Bleistift auf dünnem Papier festgehalten. Zu der Zeit war ich Schülerin der Händel-Oberschule für Mädchen. Ich zeichnete gern seit meiner Kindheit und habe später als Abi-Wahlfach auch Kunst ausgesucht. Das dünne Papier zeugt noch von dem Verzicht jener Zeit, der sich lange nach dem Krieg dahin zog. Papier war knapp und von miserabler Qualität, Farben gab es nicht zu kaufen. Sehr eng beschriebene Schulhefte mussten mit Schulstempel versehen sein, wenn ein neues benötigt wurde. Papier war grau und brüchig, Bücher rasch vergilbt, ohne Bilder und Farbe.


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