Christa



TRANSKRIPT
Ach Du liebe liebe Zeit, keiner hat mehr für die Liebe zeit. Nur die Blumen eins, zwei Stück bringen Dir das große Glück. I.! Liebe I. mein! Bald komm ich ja wieder zu Dir heim. Die Gegend, die Luft und das güne Gras es ist schön, doch wenn Du bei mir wärst, macht es mehr Spaß. Aber nun komm ich zum Schluß, liebe I. aus weiter Ferne von mir einen Kuß tschüß   ¶   Christa



[ erlebt: 17-jährig / ~1954 ]
[ Medium: Postkarte ] [ Archivierung: Keller / Regal / Pappkarton ]

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Als ich etwa 17 oder 18 Jahre alt war, lernte ich in der Berufsschule Christa kennen. Ich machte damals eine Ausbildung in einer Näherei und sie in einer Schärerei. Wir haben uns mit der Zeit angefreundet und wurden sogar beste Freundinnen.
       Mit ihrer Familie hatte Christa immer heftige Differenzen. Ihre Mutter war recht früh gestorben, so dass sie mit ihrem Vater und einer ihrer älteren Schwestern in einem Haus lebte. Hilde, ihre Schwester, hatte bereits einen Mann und vier Kinder. Christa tat ihr Möglichstes, um ihre Ausbildung und den Haushalt so gut es geht unter einen Hut zu bringen. Sie half wirklich nach Kräften. Hilde wollte aber nicht, dass Christa eine Ausbildung macht oder Arbeiten geht. Sie sollte lieber ganz zu Hause bleiben und im Haushalt, im Garten und mit den vier Kindern helfen. Es gab viele Probleme und es wurde immer schwieriger. Christas Vater kam auch kaum noch zur Ruhe, da er sogar entmündigt werden sollte.
       Christa war sehr unglücklich und weinte viel. Sie wollte unbedingt raus von zu Hause und Abstand nehmen. Eines Tages verkündete sie mir, dass sie in den Schwarzwald gehe, um dort als Verkäuferin zu arbeiten. Die Zeit war aber von vornherein auf ein Jahr begrenzt. Sie lebte dort bei einer Familie und hatte ihr eigenes Zimmer. Dort musste sie aber nicht im Haushalt mithelfen und konnte nach Feierabend tun und lassen, was sie wollte.
       Christa hat mir zu dieser Zeit oft geschrieben. Auf dieser Karte hat sie sogar selbst gedichtet. Und sie mochte Mecki so gerne. Ohne Christa war die Zeit nicht so schön für mich. Ich hatte plötzlich niemanden mehr, meine erste Beziehung war auch gerade auseinander gegangen. Ich war nach Feierabend meist alleine und bin auch nicht rausgegangen. Christa hat mir sehr gefehlt und ich konnte ihre Rückkehr kaum erwarten.
       Inzwischen arbeitete ich in einem Kindergarten, als Christa auf einmal ganz überraschend und unangekündigt vor mir stand. Wir haben uns gedrückt und in den Arm genommen. Ich hatte meine Freundin wieder! Christa zog wieder zu Hause ein und dachte, nach dem einen Jahr würde sie mit offenen Armen empfangen, aber dem war nicht so. Es haute wieder nicht hin. Christa wollte ihren eigenen Weg gehen, einen Mann kennen lernen und eine eigene Familie gründen. Und das konnte ihre Schwester nicht akzeptieren. Es war alles wie vorher. Ein Weihnachten ist die Situation dann eskaliert. Christa packte ihre Klamotten, stieg aufs Fahrrad und fuhr zu uns. Weinend stand sie plötzlich vor der Haustür. Daraufhin wohnte sie zwei Jahre bei uns (bei meiner Mutter, meinem Bruder und mir). Kontakt hatte sie fortan nur noch zu ihrem Vater, mit dem Rest ihrer Familie hatte sie abgeschlossen.
       Nach den zwei Jahren bezog Christa schließlich eine eigene Wohnung und lernte kurz danach ihren Mann kennen. Heute sind Christa und ich immer noch Freundinnen, auch wenn wir schon etwas länger keinen Kontakt mehr hatten. Christa war immer eine ganz treue Seele, auf sie war immer Verlass und sie war stets zur Stelle, wenn ich sie gebraucht habe.


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