Das Mädchen in der roten Lederjacke




[ erlebt: 24-jährig / 1963 ]
[ Medium: Negativ-Foto-Abzug ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Kaminsims / Rahmen ]

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In meiner Jugendzeit schaute ich gerne hübschen Mädchen nach. Das war normal, das machten andere auch. So traf ich 1963 während meiner kaufmännischen Ausbildung bei Besuchen in der Bank oder beim Entleeren der Schließfächer beim Postamt des öfteren ein sehr hübsches Mädchen mit einer auffälligen roten Lederjacke. Ich versuchte Blickkontakt herzustellen, doch sie bemerkte mich nicht und ignorierte mich völlig. Schade. Wie sollte ich an sie herankommen? Dann, irgendwann, sah ich sie bei einer Tanzveranstaltung in »Wittmann’s Festsälen«. Ich versuchte herauszufinden, wo sie saß und ob sie in Begleitung war. Leider war sie es. Ich war enttäuscht. Ich hätte sie gerne zum Tanz aufgefordert. So war der Abend für mich eigentlich gelaufen.
       Eine besondere Veranstaltung war der Jugend-Tanznachmittag, der alle vier Wochen im katholischen Vereinshaus stattfand. Eine super Sache. Alles was tanzsportbegeistert war, traf sich hier. Logisch, dass ich mit meinen Freunden im Juni 1963 auch dabei war. Ich traute meinen Augen kaum. Das Mädchen mit der roten Lederjacke war ebenfalls da. Erfreulicherweise, wie ich sofort feststellte, mit einer Freundin. Das war für mich die Gelegenheit. Bei einem Wiener Walzer war ich der erste, der sie zum Tanz aufforderte. Alles war prima, sie tanzte sehr gut und ich war glücklich. Dann kam ein Twist, der modernste Tanz seinerzeit, ähnlich dem Rock’n’Roll. Ich war gerade in Aktion, als sie plötzlich wünschte, zum Platz gebracht zu werden, mit der Anmerkung, diesen afrikanischen Ritualtanz könne ich alleine tanzen. Was für eine Wortwahl. Was sollte ich machen? Ich brachte sie zum Platz zurück und war sehr enttäuscht. »Das war’s dann wohl«, dachte ich.
       Es war ein Sonntag mit super Wetter. In den Tanzpausen standen immer etliche Jugendliche vor dem Lokal. Auch ich mit meinen Freunden stand draußen. Da kam das Mädchen aus dem Saal. Sie wurde sofort von anderen Jugendlichen angemacht. Ich war gespannt, wie sie reagieren würde. Es kam eine Aussage, die ich bis heute nicht vergessen habe. Sie sagte: »Sie können mir mit Ihrer hemdsärmeligen Vertraulichkeit gestohlen bleiben.« Ich war baff. So etwas hatte ich noch nicht gehört. Diese Worte saßen. Ich war beeindruckt und musste meine Einstellung zu dem Mädchen revidieren. Ich unternahm einen erneuten Versuch und forderte sie bei einem Foxtrott nochmals zum Tanz auf. Das hierbei geführte Gespräch war sehr anregend. Wir verstanden uns auf einmal prima. Ich war gut drauf. Als ich ihr angesichts des guten Wetters den Vorschlag machte, ob wir nach dem Tanztee in den botanischen Garten zum Minigolf gehen könnten, meinte sie, sich mit ihrer Freundin abstimmen zu müssen, aber grundsätzlich wäre sie bereit, mitzukommen. Was war das für ein Nachmittag. Wir hatten uns so viel zu sagen. Nach dem Besuch einer Eisdiele brachte ich sie nach Hause und wir verabredeten uns für das nächste Wochenende.
       So fing alles an. Das Mädchen mit der roten Lederjacke wurde später meine Frau und schenkte mir drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen. Alle gesund und supersüß.
       Dieses Foto in der roten Lederjacke entstand bei einem Zoobesuch in Münster, ca. zehn Jahre nach unserem Kennenlernen. Es hat einen Ehrenplatz auf dem Kaminsims im Wohnzimmer und lässt mich noch oft an damals zurückdenken.


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