Geld und / oder Freunschaft





TRANSKRIPT
LINKS Lieber A!   ¶   Ich wünsch’ Dir ein schönes Fest und ein 1993 in dem Dir alles gelingt, was Du Dir vornimmst.   ¶   B. RECHTS Wenn Du am Montag, den 4.01.93 noch nichts vor hast, lade ich Dich zum überdimensionalen Badespass nach Kassel ein. Ich denke, auch in Kassel kann man gut Chinesisch essen. (Ist selbstredend inbegriffen).   ¶   P.S. Den Termin kannst Du auch verschieben! Ein Montag ist aber am günstigsten.



[ erlebt: 25-jährig / 1992 ]
[ Medium: Gutschein ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Schrank / Plastiktüte ]

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1986 oder 1987 lernte ich B. durch einen Bekannten kennen. Es stellte sich schnell heraus, dass B. und ich viele Gemeinsamkeiten hatten und uns sehr gut verstanden. Wir hatten beide keine Freundin, waren beide Musik-Liebhaber und sahen sehr gerne Filme. Immer öfter trafen wir uns am Wochenende, spielten Karten und aßen unglaublich viele Chips. Als ich anfing zu studieren und er seine Freundin kennen lernte, blieben wir nichtsdestotrotz gute Freunde und erzählten uns fast alles. Wir fuhren auch mehrmals in die Hessentherme nach Kassel. Dort gab es Billiard, Ping-Pong, Sauna, Solarium, Kino – wir konnten es uns den ganzen Tag lang gutgehen lassen. Da B. wusste, dass sowas immer ein schönes Erlebnis war, schenkte er mir Weihnachten 1992 diesen Gutschein.
       In den darauffolgenden Jahren sahen wir uns immer seltener. Ich zog schließlich weit weg und wir schrieben uns meist nur noch Briefe. Einmal erfuhr ich von ihm, dass er nach einem kostspieligen Australien-Urlaub in ein vierstelliges Minus (allerdings noch in DM) geraten war. Da er zu der Zeit seinen Zivi machte, wusste ich, dass es schwer für ihn werden würde, aus dem Minus herauszukommen. Da ich genug Geld auf er hohen Kante und gerade keine gute Geldanlage hatte, dachte ich mir, dass ich ihm ja helfen könnte. So bot ich ihm an, ihm den nötigen Betrag zinslos zu leihen. Da man ihm garantiert hatte, dass er seinen gut bezahlten Job nach dem Zivildienst zurückbekommen würde, machte ich mir gar keine Sorgen, dass es Probleme mit der Rückzahlung geben könnte. Einen Schuldschein wollte ich nicht, schließlich vertraute ich ihm.
       Als er nach 1995 tatsächlich wieder seinen alten Job hatte, besuchte ich ihn jedes Mal wenn ich in der Stadt war und fragte, wann er mir denn mein Geld zurückzahle. Er bestand jedes Mal darauf, dass es ihm nicht einmal möglich wäre, den Betrag mit 50 DM pro Monat abzustottern. Einmal hatte ich ihn soweit und er gab mir 500 DM wieder, danach nichts mehr. Das ging mehrere Jahre so. Ich hatte auch keine Lust mehr ihn zu sehen, denn ich fühlte mich verarscht. Die Sache landete sogar beim Anwalt, doch da kein Schuldschein existierte und die Gerichts- und Anwaltskosten die geliehene Summe überstiegen hätten, blies ich die ganze Sache ab. B. hat mich wirklich schwer enttäuscht. Ich hätte ihm mehr Rückgrat und Gewissen zugetraut.
       Hierzu fällt mir ein sehr gutes Sprichwort ein: Wenn du einen Freund loswerden willst, dann leihe ihm Geld! Und ich kann leider bestätigen, dass da etwas Wahres dran ist.


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