Ein Leben mit dem Tanz


Ein Leben mit dem Tanz, ein Leben für den Tanz,
kein Leben mehr ohne Tanz!

Die Augen öffnen sich nur schwer. Der Körper streikt noch enorm. Gestern Abend wurde es reichlich spät. Ich gehe ins Badezimmer und türme mich wie jeden Morgen vor dem Spiegel auf. Ich fühle starke Schmerzen in meinen Armgelenken, an meiner Schulter klafft eine offene Wunde, die bei kleinster Berührung zu starken Schmerzattacken führt. Ich fühle, dass der Körper die Strapazen von gestern noch nicht ganz verarbeitet hat.

Ich gehe einen Schritt nach vorne, so dass Ich ganz nah an den Spiegel stehe. Ich schaue mir tief in die Augen und lasse mein Leben Revue passieren. War mein Weg bis hierhin wirklich der richtige? Ein Leben mit dem Tanz, ein Leben für den Tanz, kein Leben mehr ohne Tanz!

Tränen schießen mir in die Augen, immer und immer wieder habe ich in letzter Zeit daran denken müssen, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich den Tanz nicht entdeckt hätte? Meine Jungs, mit denen ich wie mit keine anderen down bin! Wer braucht schon Familie, wer braucht schon Geld? Meine Jungs stehen immer hinter mir, wenn ich mit ihnen trainiere vergesse ich kurzfristig all die negativen Einflüsse die mich tagtäglich im Überlebenskampf umgeben. Gestern bin ich schweißgebadet aufgewacht und schrie durch meine menschenleere Wohnung. Ich hatte einen schweren Verkehrsunfall und man musste mir als Resultat meine Beine amputieren. Was mache ich bloß, wenn mir das Einzige genommen wird, was mir in dieser kalten Welt noch geblieben ist? Low Budget Life, Hauptsache der Beat ist heiß. Du fährst einen Mercedes? Ich fahre meinen eigenen Style, einen nicht käuflichen Style.

Schon früh entschied ich mich für Breakdance. Andere machten ihr Abitur, fingen an zu studieren und gingen ihren Jobs nach. Ich aber wollte nicht so leben wie die anderen. Ich wählte den anderen Weg. Ich trainierte fortan immer härter. Baute meine Skills aus, erntete Fame und Respekt in der Szene. Während einer Veranstaltung wurde ich mit Respekt überschüttet. Was danach folgte ist härter als ein Heroinabhängiger der keinen Stoff mehr findet. Der Absturz ist extrem krass. Vom Famemagneten zum Außenseiter der Gesellschaft. Du bist Breakdancer? Kannst du davon überhaupt leben? Damit machst du doch deinen Körper kaputt! Ist das dein Ernst? Ich brauche einen Mann mit Sicherheiten, keinen Spaßfaktor. Aber ich liebe dich doch über alles! Keine Freundin der Welt kann solche Liebe ernten wie du es für deinen Tanz übrig hast!

Manchmal wenn ich von solchen Aussagen richtig hart innerlich getroffen werde, gehe ich raus aus meinem Block. Ich sehe mir die Jugendlichen an, wie sie sich prügeln, Drogen einnehmen oder klauen. Vielleicht war mein Weg nicht der richtige, vielleicht ist es auch nur mein Schicksal, wer weiß das schon. Richte ich mit meiner Einstellung und meiner Liebe negatives an? Hat sich durch das was ich mache mein Leben positiv gewandelt? Ich genieße jede Minute in der ich tanzen kann. In der ich meinen Körper so intensiv wie nur möglich spüre, mit der Musik zu einer Einheit verschmelze, um die Wette hechele. Mein Leben verläuft glücklich. Die Veranstaltungen, der Fame und der Respekt ist mein Gehalt, ohne dass ich nicht leben könnte. Ich danke euch Jungs, ihr wisst nicht wie unendlich viel ihr mir bedeutet. Wenn die Kraft die ich durch euch schöpfe Sand wäre, würde eine Wüste euch noch immer nicht gerecht werden.

Mein Körper ist mein Kapital, der Tanz ist mein Sprachrohr. Doch wie lange kann ich diesen Status aufrechterhalten? Wissen verjährt nicht so schnell wie es mein Körper tut. Täglich werden die Schmerzen mehr. Warum tu ich mir das bloß an? Diese Schmerzen sind kaum auszuhalten, der Arzt hat mich schon darauf hingewiesen, dass meine Gelenke total verschleißt sind. Warum gibt sich ein Junkie weiterhin die Spritze? Er ist süchtig. Bin ich süchtig nach Breakdance? Ich habe Breakdance mein Leben geopfert, ich lebe für Breakdance, nichts kann uns trennen. Ich verbringe mehr Zeit mit Breakdance als mit einer anderen Person auf dieser Welt.

Am Bahnhof, auf der Straße, in der Dusche, auf Partys, beim Sport, es immer dasselbe Prozedere. Fängt mein Gehör nur den kleinsten Hauch eines Beats auf, ist der Geist nicht mehr fähig meinen Körper zu kontrollieren. Der Körper fängt an zu tanzen, der Geist gibt nach, ich befinde mich wieder in meiner eigenen Welt. Ich fühle mich unaufhaltbar, gebe Vollgas, zeige, dass sich das harte Training gelohnt hat. Es bricht aus mir heraus, alles was ich mein Leben lang getan habe ergibt sich binnen weniger Minuten. Vergiss Tennis, vergiss Fußball, vergiss Schwimmen. Alles was ich benötige ist mein Körper, keine weiteren Hilfsmittel, nur meine mit Liebe erschaffene Seele, die mich täglich antreibt weiter an meinen Fähigkeiten zu arbeiten.

Wenn ich in ferner Zukunft meine Augen schließe, möchte ich dass die wenigen Jungs die ich zu meiner Familie zähle auf meiner Beerdigung nicht trauern. Ich möchte, dass sie mir die letzte Ehre erweisen, und tanzen. Zeigt der Welt wie wunderbar es ist miteinander etwas zu teilen. Zeigt der Welt bei meinem Tod, dass sich der viele Schweiß im Training zu einem Meer an Erinnerungen an mich und meinen Tanz geformt hat. Ich beobachte euch von wo auch immer Amigos, ein Herz, eine Leidenschaft!

Das ist meine Geschichte, mein Leben, meine Welt! Wir sehen uns Hombre…

http://www.worldofhiphop.de/Breakdance/Breakdance_Artikel/Ein_Leben_mit_dem_Tanz%2C_ein_Leben_f%FCr_den_Tanz %2C_kein_Leben_mehr_ohne_Tanz!_20060715598.html
[aufgerufen am 13.10.2006]


[ erlebt: 20-jährig / 2006 ]
[ Medium: Text-Datei ] [ Archivierung: Laptop-Festplatte / Ordner: Dokumente / Schule / Facharbeit B-Boying / Text / Word-Datei ]

m22
Ich tanze seit 2000 Breakdance und bin seit ca. zwei Jahren ein Mitglied der »Taz-Maniacs«. Ich habe Breakdance damals angefangen, weil ich an jeder Art von Akrobatik interessiert war. Ich kam genau im richtigen Augenblick mit Break­dance in Kontakt.
       Die meisten Leute, die Breakdance wahrnehmen, sehen nur Kidz, die sich auf dem Boden rumdrehen. Mir persönlich gibt dieser Tanz sehr viel mehr. Ich kann mit den Bewegungen meine Gefühle äußern, die ich nicht mal mit Worten erklären könnte. Ich vergesse für diesen Moment all meine Probleme. Ich kann meine ganze innerliche Wut, die ich durch den Alltagsstress gesammelt habe, rauslassen und fühle mich danach zwar kraftlos aber dafür sehr gut.
       Auch lerne ich einen Haufen von verrückten Leuten kennen, die genau auf meiner Wellenlänge liegen und mich verstehen. Ich verbringe mit diesen Leuten fast mehr Zeit als mit meiner Familie.
       2006 zog ich mir beim Fußballspielen einen Kreuzbandriss zu, der operiert werden musste. Ich war ca. sechs Monate außer Gefecht gesetzt und habe damals eigentlich erst gemerkt, dass der Tanz mir richtig wichtig ist. Man merkt erst dann was einem wichtig ist, wenn es nicht mehr da ist. Selbst auf Krücken bin ich zum Training gegangen und habe Handstand trainiert.
       Zu der Zeit habe ich diesen Text eines brasilianischen Tänzers über seine Gefühle im Internet gefunden. Er spiegelt haargenau meine Gefühle wider, die ich zum Tanz habe. Der Text hat mich lange zum Nachdenken gebracht, was mir wirklich wichtig ist im Leben.


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